Beitrag aus der Luzerner Zeitung, Ines Häfliger 12.04.2021, 05.00 Uhr
Die Mental- und Kommunikationstrainerin Petra Sewing-Mestre (58) hat in Luzern eine «Frauenakademie» eröffnet. Im neuen Zentrum am Hirschengraben 11 arbeiten 24 Frauen, die unter anderem Coaching, Ayurveda, Akupunktur, Kinesiologie, Ernährungsberatung oder Yoga speziell für Frauen anbieten. Ziel sei eine ganzheitliche Stärkung der Frauen, wie es auf der Website heisst.
Petra Sewing-Mestre.
Mitten in der Coronapandemie haben Sie die «Frauenakademie Luzern» gegründet. Wieso gerade jetzt?
Ursprünglich wollten wir warten, bis sich die Lage wieder normalisiert. Doch als bekannt wurde, wie viele Menschen psychisch unter der Coronapandemie leiden, entschieden wir uns, das Projekt trotzdem zu starten. Wir sind erstaunt, wie viel Zulauf wir haben. Derzeit betreuen wir rund 500 Kundinnen. In der Psychotherapie und der psychologischen Betreuung sind die Plätze allgemein rar. Viele sind deshalb auf unser Angebot ausgewichen.
Weshalb kommen die Frauen zu Ihnen?
Viele unserer Kundinnen sind Mütter. Sie quält nach wie vor eine grosse Unsicherheit: Dürfen die Kinder die Grosseltern besuchen? Darf die Tochter einen Kindergeburtstag feiern? Und wohin soll es in den Sommerferien gehen? Im Homeoffice fällt zudem vielen die Decke auf den Kopf: Konflikte mit dem Partner haben ein Jahr nach Pandemiebeginn nicht abgenommen, sondern zugenommen. Als die Schulen aufs Homeschooling umstellten, die Kitas schliessen mussten und die Grosseltern als Betreuungspersonen wegfielen, sind viele Frauen ins Rollenbild der 1950er-Jahre zurückgefallen. Sie kümmern sich um Kinder und Haushalt, damit der Partner sich aufs Berufliche fokussieren kann.
Dann hat die Krise also wichtige Schritte in der Gleichberechtigung zunichtegemacht?
In Theorie gab und gibt es die Gleichberechtigung zwar, aber Corona hat uns gezeigt, wie fragil sie noch ist.
In der "Frauenakademie Luzern": Stéphanie Golliard, Komplementär-Therapeutin in Ayurveda im Gespräch mit einer Patientin Bild: Manuela Jans-Koch. (Luzern, 9.4.2021)
Was können wir tun, um die Gleichberechtigung zu stärken?
Nicht die Frauen müssen wir stärken – sie sind stark genug. Was sie benötigen, sind bessere Rahmenbedingungen, die es ihnen erlauben, sich beruflich und privat weiterzuentwickeln. Es braucht flexible und erschwingliche Kinderbetreuungsangebote, die in Krisen nicht schliessen. Und Männer sollten ihr Pensum zurückschrauben können. Viele junge Väter möchten sich heute durchaus mehr um ihre Kinder kümmern, es wird ihnen aber immer noch durch die Struktur unserer Arbeitswelt sehr schwer gemacht. Etliche Arbeitgeber verlangen im Homeoffice insbesondere von Männern, die eine Kaderstelle besetzen, mehr Leistung als zuvor. Trotz allem hat uns die Pandemie gezeigt, wie flexibel Arbeitsbedingungen in gewissen Branchen sind.
Was raten Sie Müttern, die im Homeoffice wieder in überholt geglaubte Rollenmuster zurückgefallen sind?
Sie können partnerschaftliches Verhalten erwarten und einfordern. Als mein Mann Assistenzarzt war, kam er oft nicht vor 9 Uhr abends heim. Und trotzdem engagierte er sich in der Kinderbetreuung und im Haushalt. Es sind schliesslich auch seine Kinder. Manche Frauen können noch Unterstützung brauchen in ihrem Frauenbild. Sie sind nicht die alleinige Retterin der Familie, müssen sich nicht für alles verantwortlich fühlen. Zu oft stellen sie ihre eigenen Bedürfnisse zurück. Doch sozialer Kontakt und Selbstfürsorge sind wichtiger denn je.
Ist das nicht egoistisch? Vorhin erwähnten Sie, dass gerade von jungen Vätern oft beruflich noch mehr erwartet wird.
Auf sich selbst zu achten, hat nichts mit Egoismus zu tun. Dieses Vorurteil will und muss ich aus dem Weg räumen. Zu oft höre ich es von meinen Klientinnen. Gerne mache ich dann den Vergleich mit einer Flugzeugnotlandung. Da müssen wir uns zuerst die eigene Sauerstoffmaske aufsetzen, bevor wir uns um andere kümmern können. Wem es nicht gutgeht, der kann auch nicht gut für andere sorgen.
Männer scheinen weniger mit dem Selbstvorwurf des Egoismus zu kämpfen haben. Wieso?
Das stimmt. Die Begründung dafür liegt, so glaube ich, in der Sozialisation der Frauen. Frauen lernen auch heute noch, mehr auf ihre Umwelt zu achten, Rücksicht zu nehmen und ihre eigenen Bedürfnisse zurückzustecken. In meinem Coaching sehe ich oft, dass Frauen grosse Probleme damit haben, ihre Gefühle und ihre Bedürfnisse dahinter wahrzunehmen und mitzuteilen. Erst wenn sie nicht mehr können, kommunizieren sie dies – oft in Form von heftiger und unsachlicher Kritik.
In der "Frauenakademie Luzern": Janine Brigger, Naturheilpraktikerin TCM, während einer Akupunktur-Behandlung. Bild: Manuela Jans-Koch. (Luzern, 9.4.21)
Was verstehen Sie denn unter «sachlich» kommunizieren?
Vorwürfe und Verallgemeinerungen bringen nichts. Kritisieren Sie den Partner nicht als Person, sondern sprechen Sie das situative Verhalten an. Wenn die Atmosphäre angespannt ist, würde ich auf einen ruhigeren Moment warten. Ich-Botschaften, die sich auf konkrete Situationen beziehen, sind eine gute Möglichkeit, Konflikte konstruktiv zu lösen. So wirkt «Könntest du bitte deine Socken in die Wäsche tun?» weniger aggressiv und verletzend als «Du bist immer so unordentlich».
Und wenn der Partner sein Verhalten nicht wunschgemäss ändert?
Einen Konflikt zu klären, bedeutet nicht, den Partner dazu zu bringen, das zu tun, was man von ihm möchte. Das ist keine gemeinsame Lösungsfindung, sondern Besiegen.
Und was, wenn sich der Partner nicht auf den Kompromiss einlassen will?
Dann rate ich, immer wieder das Gespräch zu suchen und den Partner auf das «Fehlverhalten» aufmerksam zu machen. Sie können mit deutlichen Worten erklären, wie es Ihnen mit diesem Verhalten geht. Oder Sie können gemeinsam schauen, ob hinter dem Verhalten etwas ganz anderes steckt – zum Beispiel der Wunsch nach Aufmerksamkeit oder Zuwendung. Wenn das nicht hilft, kann professionelle Hilfe eine Lösung sein.
Welche Tipps haben Sie für eine erfüllte Beziehung auch in Zeiten von Homeoffice?
Die eigenen Bedürfnisse zu erkennen und mitzuteilen, ist zentral. Zeit für sich zu nehmen, hilft vielen Frauen – gerade, wenn der Partner ebenfalls zu Hause arbeitet. Man muss nicht alles gemeinsam machen. Alleine für die Familie zu kochen oder zu spazieren, tut vielen gut. Auch rate ich, Arbeit und Privates zu trennen: ab dem Abendessen etwa nicht mehr über den Job zu sprechen und stattdessen einen Film zu schauen. Wer dazu kuschelt, kann sich noch besser entspannen: Körperkontakt senkt den Stresspegel.
Und was, wenn Kuscheln gerade keinen Spass macht?
Meinen Kundinnen lege ich nahe, eine realistische Einstellung zu haben. Wenn die Beziehung kurzfristig nicht gut läuft, bedeutet dies nicht gleich den Anfang einer Ehekrise. Wir befinden uns alle in einer Ausnahmesituation. Wenn man das erkennt und akzeptiert, kann man auch leichter damit fertig werden, wenn irgendetwas mal nicht optimal läuft.
Sehen Sie in der Krise auch positive Aspekte für Beziehungen?
Oft erlebe ich, dass sich Paare nach einem Knall in der Beziehung hinsetzen und überlegen, was nicht gut läuft und was sie verbessern können. Corona hat in dieser Hinsicht vielen Beziehungen geholfen, nicht geschadet.
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